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‹THE PANSY STUDIES›,
eine Skulpturenskizzenausstellung von Nick Micros
in der Remise Lagerstrasse, Zürich,
vom 15. bis 27. März 2013


Ganz nahe beim Hauptbahnhof Zürich steht die stillgelegte und dem Abbruch geweihte Lokremise, die heute unter dem Label ‹Remise› mit temporären Kunstausstellungen neu belebt wird. In dieser grossen, industriellen Halle zeigt der in der Schweiz lebende New Yorker Bildhauer Nick Micros kleinere Skulpturen und Modelle, welche auf eine poetische Weise die ursprüngliche Betriebsamkeit wieder wach rufen. Die insgesamt über 50 Arbeiten, zusammengefasst unter dem Titel ‹The Pansy Studies›, sind dreidimensionale Ideenfragmente für die Arbeit ‹The Pansy› ein 4 x 6 Meter grosses monumentales Relief, welches im Sommer 2013 in der Ziegelei Hochdorf entstehen soll.

Wie bitte, ein Relief? Ja genau, diese heute fast vergessene Kunstform, angesiedelt im Zwischenraum zwischen Skulptur und Malerei und scheinbar hoffnungslos veraltet, ist die von Micros subtil gewählte Ausdrucksform für die Zwitter-Figur ‹Pansy›, welche er in heroischer Grösse aus Ziegelsteinton realisieren wird. ‹Pansy›, umgangssprachlich vielleicht mit ‹Memme› oder ‹Weichei› zu übersetzen, ist ein aus der Mode geratenes und nicht allzu derbes Schimpfwort, welches dem Adressaten in subtiler Weise die von Geschlecht oder Rollenverhalten her erwartete Männlichkeit abspricht und so den Betroffenen symbolisch ‹hermaphrotisiert›. ‹Pansy› ist im Amerikanischen aber auch der Name für die hier als ‹Stiefmütterchen› und in Frankreich als ‹Pensée› (Gedanke) bekannte Blume, welche als Symbol für die Freidenkerbewegung steht. Micros’ Arbeiten bewegen sich in einer Welt von Doppeldeutungen und Widersprüchlichkeiten: ‹Pansy›, das hermaphroditische ‹Weichei›, ist auch ‹Pensée› und steht als Metapher für eigenständiges, auf Erfahrung und nicht auf Tradition und Dogmas beruhendem Denken.

Die ausgestellten Objekte treten in einen Dialog mit der ‹gedachten› finalen Version von ‹Pansy›, von der man sich, von Skulptur zu Skulptur im Raum bewegend, zunehmend ein Bild machen kann: Eine hybride und mythische Gestalt, welche sich schlittschuhlaufend im Raum bewegt und, umringt von einem Beet von Stiefmütterchen und anderen Elementen, in der einen Hand eine Laterne trägt, ein Symbol für Licht und Hoffnung, und in der andern die schrecklich-schöne abstrakte Form des Urans, welches in der ersten in Hiroshima gezündeten Atombombe enthalten war. Die verwendeten Materialen sind vielfältig, reichen von Holz über Draht, Metall, Stoff, Schnüren, Zement, Asche, Kohle bis hin zu Fragmenten von alten Grabsteinen und Spiegeln, kurz, was immer sich in Micros’ Künstleratelier zufällig und assoziativ finden liess.

Dem provisorischen und industriellen Charakter der Remise gerecht werdend stellt Micros seine Studien unprätentiös auf Tischen, Gestellen und Paletten aus, so etwa, wie man sich die Arbeiten in einem Künstleratelier vorstellen könnte oder so, wie wenn sie durch den in die Remise führenden Geleisezugang jederzeit wieder verschwinden könnten. Als Ganzes stellen die Arbeiten eine ‹second hand shop–artige› Installation dar und zementieren für einen Moment das Flüchtige und Provisorische. Diesem Spirit folgend setzt der Künstler während der Ausstellungsdauer seine Studien fort und wird, den Kreis zwischen Atelier und Ausstellungsraum schliessend, während der Ausstellungsdauer grössere Gips- und Tonskulpturen entwickeln.

Es ist, als hätte das Hämmern in der Remise nie aufgehört.

Rolf Staub, März 2013

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